Tuesday, June 03, 2014

....Wirklichkeitsgemäß...

"Man kommt einer wirklichen Weltauffassung nicht nahe, wenn man
nicht etwas ins Auge faßt, was ganz notwendig ins Auge gefaßt werden
muß, je mehr der Mensch der Zukunft und ihren geistigen Anforderungen
entgegengeht. Heute lebt man noch vielfach unter dem Vorurteile:
Wenn irgend jemand etwas sagt, was logisch ist und logisch
bewiesen werden kann, dann hat es auch die notwendige Bedeutung
für das Leben. Aber Logizität, Logizismus allein genügen nicht. Und
weil die Menschen immer zufrieden sind, wenn sie etwas irgendwie
logisch beweisen können, so behaupten sie auch alle möglichen Weltanschauungen
und philosophischen Systeme, die selbstverständlich logisch
zu beweisen sind; kein Mensch, der mit Logik bekannt ist, zweifelt,
daß sie logisch zu beweisen sind. Aber es ist nichts getan für das
Leben*mit den bloßen logischen Beweisen, sondern was gedacht wird,
was innerlich ersonnen wird, muß nicht nur logisch erdacht, ersonnen
sein, sondern wirklichkeitsgemäß. Was bloß logisch ist, gilt nicht; das
Wirklichkeitsgemäße nur gilt. Ich werde es Ihnen nur an einem Beispiele
klarmachen. Nehmen Sie an, ein Baumstamm liegt hier vor
Ihnen, und Sie beschreiben den Baumstamm. Sie können etwas ganz
ordentlich beschreiben und Sie können jedem beweisen, daß da ein
Wirkliches liegt, weil Sie der äußeren Wirklichkeit gemäß beschrieben
haben. Sie haben aber doch eigentlich nur eine Lüge beschrieben. Denn
das, was Sie da beschreiben, hat kein Dasein, weil es so nicht wirklich
sein kann als Baumstamm, der da liegt; sondern von dem Baumstamm
hat man die Wurzein abgeschnitten, hat man die Äste, die Zweige abgeschnitten,
und das Stück, das da liegt, das tritt nur ins Dasein so,
daß Äste und Blüten und Wurzeln mit ins Dasein treten, und es ist
Unsinn, den Stamm als ein Wirkliches zu denken. So wie er sich zeigt,
ist er kein Wirkliches. Man muß ihn mit seinen Trieben, mit dem, was
er innerlich enthält, damit er entstehen kann, zusammennehmen. Man
muß überzeugt sein davon, daß das, was da vor einem liegt als Stamm,
eine Lüge ist, weil man nur, wenn man einen Baum ansieht, eine Wahrheit
vor sich hat. Logisch ist es nicht gefordert, daß man einen Baumstamm
für eine Lüge ansieht, aber wirklichkeitsgemäß ist es gefordert,
daß man einen Baumstamm für eine Lüge ansieht und nur einen ganzen
Baum für eine Wahrheit. Ein Kristall ist eine Wahrheit, der kann
bestehen für sich in einer gewissen Beziehung, allerdings immer nur in
einer gewissen Beziehung, denn relativ ist wieder das alles. Aber eine
Rosenknospe ist keine Wahrheit. Ein Kristall ist eine Wahrheit; aber
eine Rosenknospe ist eine Lüge, wenn man sie nur als eine Rosenknospe
ansieht."

Rudolf Steiner, GA 170

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