Thursday, September 26, 2013

Kunst und Erkenntnis VII

"Die Kunst ist ewig, ihre Formen wandeln sich. Und wenn Sie
dies nehmen, daß überall eine Beziehung zum Geistigen vom
Künstlerischen aus da ist, werden Sie verstehen, daß das Künstlerische
doch etwas ist, wodurch man sich sowohl schaffend wie
genießend mit in die Geisteswelt hineinstellt. Wer ein wirklicher
Künstler ist, kann in einsamer Wüste sein Bild schaffen. Einerlei ist
es ihm, wer von den Erdenmenschen das Bild anschaut, ob es überhaupt
jemand anschaut, denn er hat in einer anderen Gemeinschaft
geschaffen, er hat in der geist-göttlichen Gemeinschaft geschaffen.
Götter haben ihm über die Schultern geblickt. Er hat in der Gesellschaft
von Göttern geschaffen. Was liegt dem wahren Künstler
daran, ob sein Bild irgendein Mensch bewundert oder nicht. Deshalb
kann man Künstler sein in voller Einsamkeit. Aber auf der
anderen Seite kann man nicht Künstler sein, ohne in die Welt, die
man dann auch ihrer Geistigkeit nach betrachtet, das eigene Geschöpf
wirklich hineinzustellen, so daß es darinnen lebt. In der
Geistigkeit der Welt muß es leben, das Geschöpf, das man in sie
hineinstellt. Vergißt man diesen geistigen Zusammenhang, dann
wandelt sich auch die Kunst, aber sie wandelt sich mehr oder
weniger in Unkunst.
Sehen Sie, es läßt sich eigentlich künstlerisch nur schaffen, wenn
man das Kunstwerk im Weltenzusammenhang darinnen hat. Dessen
waren sich jene alten Künstler bewußt, die zum Beispiel ihre
Bilder an die Kirchenwände gemalt haben, denn da waren diese
Bilder die Führer für die Gläubigen, für die Bekenner, da wußten
die Künstler, das steht darinnen in dem Erdenleben, insoweit dieses
Erdenleben von dem Geistigen durchsetzt ist.
Man kann sich kaum etwas Schlimmeres denken, als wenn man,
statt für so etwas, nun für Ausstellungen schafft. Im Grunde genommen
ist es ja das Schrecklichste, durch eine Bilderausstellung
zum Beispiel oder eine Skulpturausstellung zu gehen, wo alles
mögliche durcheinander hängt oder nebeneinander steht, was gar
nicht zusammengehört, wo es eigentlich sinnlos ist, daß das eine
neben dem andern ist. Indem das Malen den Übergang gefunden
hat vom Malen für die Kirche zum Bilde für das Haus, schon da,
möchte ich sagen, verliert es den richtigen Sinn. Wenn man in den
Rahmen hinein etwas malt, kann man sich wenigstens noch vorstellen,
man schaut durch ein Fenster heraus, und das, was man sieht,
das ist draußen, aber es ist schon nichts mehr. Aber nun gar für
Ausstellungen malen! Man kann nicht weiter darüber reden. Nicht
wahr, eine Zeit, die überhaupt in Ausstellungen etwas sieht, etwas
Mögliches sieht, hat eben den Zusammenhang mit der Kunst verloren.
Und Sie sehen einfach an dem, was alles an geistiger Kultur
zu geschehen hat, um wiederum den Weg zum Geistig-Künstlerischen
zurückzufinden. Die Ausstellung zum Beispiel ist durchaus
zu überwinden. Gewiß, bei einzelnen Künstlern ist der Abscheu
vor der Ausstellung vorhanden, aber wir leben heute in einer Zeit,
wo der einzelne nicht viel vermag, wenn nicht das Urteil des einzelnen
in eine Weltanschauung eingetaucht wird, die wiederum die
Menschen so in ihrer Freiheit, in voller Freiheit durchsetzt, wie
einstmals in unfreieren Zeiten Weltanschauungen die Menschen
durchsetzt haben und dazu geführt haben, daß wirkliche Kulturen
entstanden, während wir heute keine wirklichen Kulturen haben.
An dem Aufbau von wirklichen Kulturen und damit auch an
dem Aufbau von wirklich Künstlerischem muß aber eine geistige
Weltanschauung arbeiten, daran das höchste Interesse haben."

Rudolf Steiner, 1923

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