Saturday, August 31, 2013

Das Schöne und das Wahre

"...Selbst die Kunst nennt sich realistisch.
Eine idealistische Deutung findet wenig Anklang bei dem
Publikum. Ehrlich sind diejenigen, die gestehen, daß Schiller
ihnen nicht sympathisch ist. Daß das Schöne eine Ausprägung
des Wahren sei, gilt nicht mehr. Das Wahre wird
genannt, was mit Augen gesehen, mit Händen getastet werden
kann. Das Alltägliche wird das Wahre genannt. So war
es nicht für Schiller; ihm lag das Wahre in den großen,
ideellen Gesetzen. Die Kunst war für ihn die Wiedergabe
des im Wirklichen verborgenen Geistigen, nicht des Alltäglichen.
Das Wahre, das Schiller suchte, wird heute weder
von der Wissenschaft noch von der Kunst anerkannt; niemand
versteht heute, was Schiller unter dem Wahren verstand.
Deshalb dieser Gegensatz. Man versteht heute unter
dem Wahren das, was Schiller das Sinnlich-Notdürftige
nannte. In der Harmonie zwischen dem Geistigen und dem
Sinnlich-Notwendigen sucht Schiller das Freiheitsideal.
Was man heute das Künstlerische nennt, kann man nimmermehr
im Sinne Schillers das Künstlerische nennen.
Noch eine Kluft liegt zwischen den heutigen und Schillers
Anschauungen. Unsere Zeit hat nicht mehr den tiefen intensiven
Drang nach einem Eindringen in den inneren
Kern der Welt. Dieser tiefe Ernst, der wie ein Duft über
Schillers Anschauungen liegt, dieser tiefe Ernst ist nirgends
mehr vorhanden..."

Rudolf Steiner, GA 51

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