Friday, July 18, 2014
Giotto di Bondone - Der Tod des Heiligen Franz von Assisi
"Wir werden unmittelbar erinnert
durch die Innigkeit, die darinnen ist, an die schöne Tatsache, die ja aus
dem Leben des Franz von Assisi bekannt ist, daß er, lange arbeitend, sein Lied
auf die Natur geformt hat. In dem Liede auf die Natur, dem großen schönen
Hymnus, spricht Franz von Assisi überall von seinen «Geschwistern» - von
der Schwester Sonne, von dem Monde, von den übrigen Planeten, von den
Erdenwesen; alles, was er in liebevoller realistischer Hingabe, seelisch realistischer
Hingabe mit der Natur gefühlt hat, ist in wunderbarer Weise in diesen
Hymnus zusammengenommen. Dieses unmittelbare Verbundensein mit der
Erdennatur und dem, was in der Erdennatur lebt, das drückt sich besonders
in einer Tatsache sehr schön aus: darinnen, daß die letzte Strophe erst in den
allerletzten Lebenstagen des Franz von Assisi entstanden ist, und diese letzte
Strophe ist gerichtet an den «Bruder Tod». Man sieht, Franz von Assisi konnte
den Bruder Tod erst besingen in dem Augenblicke, als er selber auf dem
Totenbette lag, in dem Augenblicke, da er seinen Brüdern die Aufforderung
erteilte, sie sollen von den Freuden des Todes in seiner Umgebung singen, wo
er sich fühlte aufgehend in die Welt, in die er aufgenommen werden sollte. Wie
Franz von Assisi alles das, was ihn verband mit der Welt, unmittelbar nur aus
dem realistischen Erdenleben heraus, aus dem gegenwärtigen Erleben heraus
wiedergeben konnte und wiedergeben wollte, empfinden wollte, das zeigt sich
in der Tatsache so schön, daß er, währenddem er alles übrige früher besang,
den Tod erst besang, als er selber dem Tode nahe war. Das Letzte, was er
diktiert hat, ist diese letzte Strophe dieses großen Lebenshymnus auf den
Bruder Tod, wie der auf sich selbst gestellte Mensch sich Christus mit dem
menschlichen Leben verbunden denkt. Ich glaube, man kann es nicht schöner
sehen - zugleich verknüpft eben mit der durch Franz von Assisi schon hereinstrahlenden
Anschauung des menschlichen Lebens, die ganz anders geworden
war, als es in früheren Zeiten war - als aus einem solchen Bilde heraus, in
dem man, ich möchte sagen unmittelbar sieht, wie Giotto in derselben Auffassungs-
Aura lebt wie Franz von Assisi selber."
Rudolf Steiner GA 292
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