Tuesday, March 18, 2014

Die Seelen und das Christentum

"Derjenige, der den Darwinismus,
den Haeckelismus versteht, und der selber ein wenig durchdrungen
ist von dem, wovon Haeckel noch gar nichts weiß - Darwin
aber wußte noch manches -, daß diese beiden Bewegungen nur als
christliche Bewegungen möglich waren, wer das versteht, kommt
ganz konsequent zu der Reinkarnationsidee. Und wer zu Hilfe ziehen
kann eine gewisse hellseherische Kraft, der kommt auf diesem Wege
ganz konsequent zu dem geistigen Ursprung des Menschengeschlechts.
Es ist zwar ein Umweg, aber, wenn Hellsichtigkeit hinzukommt, ein
richtiger Weg von dem Haeckelismus zu der geistigen Auffassung
des Erdenursprungs. Aber auch der Fall ist denkbar, daß man den
Darwinismus nimmt, wie er heute sich darbietet, ohne aber durchdrungen
zu sein von den Lebensprinzipien des Darwinismus selbst;
mit anderen Worten: wenn man den Darwinismus aufnimmt als einen
Impuls und nichts in sich fühlt von einem tieferen Verständnis des
Christentums, das doch im Darwinismus liegt, dann kommt man zu
etwas sehr Eigentümlichem. Dazu kann man kommen, daß man durch
solche geistige Beschaffenheit der Seele gleich wenig vom Christentum
und vom Darwinismus versteht. Man kann dann von dem guten
Geiste des Christentums ebenso verlassen sein wie von dem guten
Geiste des Darwinismus. Hat man aber den guten Geist des Darwinismus,
dann mag man noch so materialistisch sein, dann kommt man
immer weiter zurück in der Erdengeschichte bis auf den Punkt, wo
man erkennt, daß der Mensch niemals aus niederen Tierformen sich
herausentwickelt hat, daß er einen geistigen Ursprung haben muß.
Man kommt zurück auf den Punkt, wo man den Menschen als geistiges
Wesen gleichsam schwebend über der Erdenwelt schaut. Der konsequente
Darwinismus wird dazu führen. Ist man aber von seinem
guten Geiste verlassen, dann kann man glauben, wenn man zurückgeht
und ein Anhänger der Reinkarnationsidee ist, man habe einmal
selber als Affe gelebt auf irgendeiner Inkarnation der Erde selbst.
Wenn man das glauben kann, dann muß man sowohl von dem guten
Geiste des Darwinismus als auch des Christentums verlassen sein,
dann muß man von beiden nichts verstehen. Denn niemals könnte
einem konsequenten Darwinismus passieren, das zu glauben. Das
heißt, man muß in ganz äußerlicher Weise die Reinkarnationsidee
übertragen auf diese materialistische Kultur. Denn man kann den
modernen Darwinismus gewiß seiner Christlichkeit entkleiden. Tut
man das nicht, so wird man finden, daß bis in unsere Zeit hinein die
darwinistischen Impulse aus dem Christus-Impuls geboren worden
sind, daß die christlichen Impulse auch da wirken, wo man sie verleugnet.
So haben wir nicht nur die Erscheinung, daß das Christentum
sich in den ersten Jahrhunderten abgesehen von der Gelehrsamkeit
und dem Wissen der Anhänger und Bekenner ausbreitet, daß es
sich ausbreitet im Mittelalter so, daß höchst wenig dazu beitragen
können die gelehrten Kirchenväter und die Scholastiker, sondern wir
haben in unserer Zeit die noch paradoxere Erscheinung, daß das
Christentum wie in seinem Gegenbilde im Materialismus unserer heutigen
Naturwissenschaft erscheint, und alle Größe, alle ihre Tatkraft
doch aus den christlichen Impulsen hat. Die christlichen Impulse, die
in ihr liegen, werden diese Wissenschaft von selbst über den Materialismus
hinausführen.
Sonderbar ist es mit den christlichen Impulsen! Intellektualität,
Wissen, Gelehrsamkeit, Erkenntnis scheinen gar nicht dabei zu sein
bei der Ausbreitung dieser Impulse. Ganz etwas anderes scheint ihre
Ausbreitung in der Welt zu bedingen. Man möchte sagen, das Christentum
breitet sich aus, was auch die Menschen für oder dagegen
denken, ja sogar so, daß es wie in ein Gegenteil verkehrt im modernen
Materialismus erscheint. Was breitet sich denn da aus ? Die christlichen
Ideen sind es nicht, die christliche Wissenschaft ist es nicht.
Man könnte noch sagen, das moralische Gefühl breitet sich aus, das
durch das Christentum eingepflanzt worden ist. Aber man sehe nur an
das Walten der Moral in diesen Zeiten, und man wird mancherlei
berechtigt finden von dem, was aufgezählt werden kann an Wut der
Vertreter des Christentums gegen wirkliche oder vermeintliche Gegner
des Christentums. Auch die Moral, die walten konnte in den Seelen,
die intellektuell nicht hoch gebildet sind, wird uns nicht sehr imponieren
können, wenn wir sie ins Auge fassen auch da, wo sie wirklich
am christlichsten denkt. Was breitet sich denn da aus? Was ist dieses
Sonderbare? Was ist es, was im Siegeszuge durch die Welt geht?
Fragen wir darüber nun die Geisteswissenschaft, das hellsichtige Bewußtsein!
Was waltete in den ungebildeten Menschen, die sich von
Osten nach Westen hineinschieben in das hochgebildete Griechenund
Römertum? Was waltet in den Menschen, die in die germanische,
in die fremde Welt das Christentum hineingetragen haben? Was waltet
in der modernen materialistischen Naturwissenschaft, wo die Lehre
ihr Angesicht gleichsam noch verhüllt? Was waltet in all diesen Seelen,
wenn es nicht intellektuelle, nicht einmal moralische Impulse sind?
Was ist es denn? - Es ist der Christus selbst, der von Herz zu Herz,
von Seele zu Seele zieht, der durch die Welt ziehen und wirken kann,
gleichgültig, ob die Seelen ihn verstehen oder nicht durch diese Entwicklung
im Laufe der Jahrhunderte!"

Rudolf Steiner, GA 148

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