"Naturforscher wie Du Bois-Reymond und ähnliche sprechen
davon, daß, wo das Übersinnliche beginne, Wissenschaft
aufhören müsse. Ich habe schon in einem früheren
Vortrage auf den Irrtum hingedeutet, der da zutage tritt.
Wodurch ist er entstanden? Man hat zwar gefühlt - und
Du Bois-Reymond fühlt es recht deutlich -, daß das
menschliche Wesen in einem Geistigen wurzelt. Aber dieses
Geistige muß erst durch Ausbildung von geisteswissenschaftlichen
Methoden als der Boden erkannt werden, aus
dem das Seelische des Menschen fließt. Habe ich einen Baum
vor mir und sehe, wie seine Wurzeln in den Boden hineinreichen,
so kann ich vielleicht ungehalten darüber sein, daß
er mir den Anblick seiner Wurzeln entzieht, und ich will
den Baum übersichtlich haben. Die heutige Wissenschaft
will die Dinge übersichtlich machen, indem sie dasjenige ins
Auge faßt, was sinnlich anschaubar ist; denn das Wurzelhafte
im geistigen Boden entzieht sich ihr. Die Wissenschaft
macht es wie jemand, der, um einen Baum übersichtlich,
anschaulich vor sich zu haben, ihn aus dem Boden herausreißt
oder herausgräbt. Er hat ihn dann übersichtlich vor
sich, aber der Baum verdorrt. So hat die heutige Wissenschaft,
die nicht auf den Geist eingehen will, den Baum der
Erkenntnis ausgerissen. Aber ebenso wahr, wie der aus
seinem Wurzelboden herausgerissene Baum, wenn er auch
übersichtlich anzuschauen ist, verdorrt, ebenso verdorrt
die Erkenntnis, die man aus dem geistigen Mutterboden
herausreißt. Ein solcher Ausspruch wie der von Du Bois-
Reymond, daß die Wissenschaft da aufhört, wo das Übersinnliche
anfängt, wird in der Zukunft zu der entgegengesetzten
Überzeugung übergeleitet werden. Man wird erkennen:
Wenn man das Übersinnliche nicht anerkennen
will bis in die Naturerscheinungen hinein, so reißt man den
Baum der Erkenntnis aus seinem Mutterboden heraus und
bringt die Erkenntnis zum Verdorren. Man wird in Zukunft
nicht sagen, wo das Übersinnliche anfängt, hört die Wissenschaft
auf, sondern man wird, wenn man Wissenschaft auf
die Weise begründen will, daß man sie aus dem Boden des
Übersinnlichen herausnimmt, erfahren, daß da, wo im
menschlichen Geistesleben das Übersinnliche aufhört, Wissenschaft
nicht gedeihen kann, daß da nicht außerhalb des
Übersinnlichen eine wirkliche Wissenschaft entstehen wird,
sondern daß da, wo das Übersinnliche aufhört, es nur eine
tote Wissenschaft geben wird."
R. Steiner, GA 67
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